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Singen mit Abstand - rheinland-pfälzische Chöre stehen vor besonderen Herausforderungen

Als ob die rund 3.500 Amateur-Chöre in Rheinland-Pfalz durch Mitgliederschwund nicht schon genug gebeutelt wären.

Jetzt kommt Covid-19 daher und setzt der Krise noch eins obenauf. Schon seit dem 18. März dieses Jahres müssen Sänger/innen aufgrund der Anti-Corona-Maßnahmen auf Chorproben verzichten.

Dietmar Weidenfeller, Kreisvorsitzender im Kreis-Chorverband Koblenz e.V. weiß im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied davon zu singen, da er selbst aktiver Sänger in zwei Koblenzer Chören ist. Er glaubt, dass diese Situation für manche Chöre eine Belastungsprobe darstellen und auch im Verlust von Mitgliedern zum Ausdruck kommen könne. Die als Alternative eingerichteten digitalen Chorproben sind zurzeit die Möglichkeit zum ansatzweisen gemeinsamen Singen, sind aber kaum vergleichbar mit dem, was zuvor in den Proberäumen in engem Miteinander passierte. Per Internet gemeinsam zu singen, gehe technisch nicht, erklärt Weidenfeller. Die Zeitverzögerung lässt ein synchrones Singen nicht zu und vielfach kommt es zu Verzerrungen. Deshalb sind die Online-Probestunden eher vom Chorleiter angeführte Videokonferenzen mit dem Ziel, den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe zu stärken. Darüber hinaus können hierbei das Chor-Repertoire bearbeitet und neue Lieder zur Einstudierung eingebracht werden. "Bei unserem letzten Video-Treff schmiedete eine 15 Sänger starke Gruppe unseres Chores bei einem Glas Wein strukturelle Pläne", erzählt Weidenfeller, der Singen als Stress lösenden "Saunagang für die Seele" bezeichnet.

Eine an die Landesregierung gerichtete Petition des Chorverbandes Rheinland-Pfalz gegen das Probenverbot führte zu dessen Aufhebung ab dem 10. Juni. Aufgrund der hohen, mit dem Probenbetrieb verbundenen Auflagen, hält sich die Freude darüber in Grenzen. Das Kulturministerium in Mainz lässt Vorsicht walten, schließlich gab es andernorts nach Chorproben verschiedene Fälle von Coronavirus-Infektions-Ausbrüchen. Eine Studie des Institutes für Musikermedizin der Musikhochschule Freiburg hatte bestätigt, wie hoch die Infektionsgefahr beim Singen ist. Das Virus kann sich demnach unter anderem mithilfe kleinster Aerosol-Partikel verbreiten, die beim Singen vermehrt ausgestoßen und eingeatmet werden. Daher sind strenge



Hygienemaßnahmen für Chorproben angeordnet. Sie sehen nicht nur eine Singzeit von maximal dreißig Minuten, sondern zusätzlich einen Abstand von drei bis vier Metern von Sänger zu Sänger vor. Das sei wegen der benötigten Raumgröße für kaum einen Chor umsetzbar, sagt Weidenfeller. Bei vorgeschriebenen zehn Quadratmetern pro Sänger müsste der Probenraum beispielsweise für den "MGV Frohsinn 1865 Pfaffendorf", in dem er den Bass singt, 340 Quadratmeter groß sein. Und im Freien, wo gemäß Corona-Verordnung hauptsächlich geprobt werden soll, gibt es des Abstandes und der umgebenden Geräuschkulisse wegen ein akustisches Problem. Denkbar seien Registerproben oder ein Aufteilen des Chores in kleinere Ensemblegrößen, bei der die Zusammensetzung der Einzelstimmen allerdings problematisch sein könne.

So bleiben trotz geringem Infektionsgeschehen in Rheinland-Pfalz derzeit viele Lieder ungesungen und die Stimmen geraten mehr und mehr aus der Übung. Nebenbei sorgt sich Weidenfeller um die Mitglieder, für die die wöchentliche Chorprobe ein wesentlicher Bestandteil ihrer Wochenplanung war. Ohne die Stunden des Miteinanders breche Struktur weg und Sozialkontakte gehen verloren. Das gemeinsame Bierchen nach der Probe sei genauso wichtig für die Seele wie das Singen an sich. Ein Zuprosten über den Laptop sei manchmal ganz amüsant, sollte aber kein Dauerzustand sein. Doch im Moment sind die Aussichten für Sangesfreunde gar nicht rosig. Bislang fand bei "seinen" beiden Chören noch kein einziges physisches Treffen der Mitglieder statt. Ganz zu schweigen von Konzerten. Alle Auftritts-Termine der Chöre im Kreis-Chorverband Koblenz wurden für die nächsten Monate abgesagt. Weidenfeller hat die Hoffnung, dass die Sänger wenigstens zur Adventszeit wieder im Chor singen dürfen und der "Klingende Weihnachtskalender" auf dem Koblenzer Weihnachtsmarkt (in abgespeckter Form) stattfinden kann. Ein echtes Highlight für die deutsche Chorszene soll im November wahr werden: für die Austragung der 1. Deutschen Chormeisterschaft 2020 in Koblenz wird zurzeit ein Hygiene- und Abstandskonzept erarbeitet .

Um die singfreie Zeit möglichst unbeschadet als Chor zu überstehen, sei es unerlässlich, weitere Möglichkeiten zu finden, den sozialen Kontakt zu halten und sich neue Ziele zu setzen. So könnte Weidenfeller sich vorstellen, mit seinem Chor ein virtuelles Chorprojekt auf die Beine zu stellen. Andere haben schon bewiesen, wie spannend ein Zusammenschnitt aus einzeln eingesungenen Stimmen als Chorlied ausfallen und wie viel Energie eine solche Aktion freisetzen kann. Wenn das gelänge, würde es sicherlich die Freude am Singen in der Gemeinschaft befeuern.

Mit jedem abgesagten Chorauftritt, mit jedem ausgefallenen Vereinsfest schrumpft die Vereinskasse, in die während der Corona-Krise lediglich die Mitgliedsbeiträge fließen. Weidenfeller hebt hervor, dass die Chöre trotz dieser Lage die Honorare für die Chorleiter weiterzahlen und damit ein deutliches Zeichen der Solidarität setzen. Längerfristig werde das aber problematisch werden, mahnt er: "Die Chorleiter durchleben derzeit eine existenzielle Bedrohung."
In der Situation freut sich die Chorlandschaft natürlich über jeden Euro, der eingespart werden kann oder als außergewöhnliche Zuwendung eingeht. An dieser Stelle möchte Weidenfeller der Koblenzer Stadtverwaltung danken, die sich für ihre Chöre unterstützend und entgegenkommend zeige. Sie biete beispielsweise für Proben im Freien städtische Flächen an und agiere bei der Gestattung dieser Proben grundsätzlich unbürokratisch..

Langfristig ist Dietmar Weidenfeller optimistisch. Die Situation für die Chöre werde sich normalisieren, wonach ein "Singen aus voller Kehle für die Seele" wieder regelmäßig möglich ist. Die Zeit sollte es zudem schaffen, insbesondere den zur Risikogruppe gehörenden älteren Sängern (in vielen Chören die Überzahl), die Angst vor dem Virus zu nehmen, damit sie sich wieder voller Freude und unbeschwert in die Chorgemeinschaft einbringen.

Zum ersten Mal nach dem Lockdown findet nun eine Vorstandssitzung im kleinen Kreis des Kreis-Chorverbandes statt. Dabei wird es unter anderem um die Suche nach funktionierenden Hygienekonzepten, nach Wegen aus der Krise und kreativen Alternativen gehen. Und natürlich wird auch das Thema von unbürokratischen Landeszuschüssen für Chöre und Chorleiter eine Rolle spielen. Konkrete Forderungen seien aber noch nicht definiert worden, sie würden letztlich über den Chorverband Rheinland-Pfalz zielgerichtet eingebracht.