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Badische Zeitung: Von der kulturellen Viel- zur Einfalt Die Volksfeste sollen auf die Liste immaterieller Kulturgüter Ein Unterm Strich von Niklas Arnegger

Freiburg (ots) - Der Unesco liegt viel an der kulturellen Vielfalt. In Deutschland wird derzeit an einer Liste immaterieller Kulturgüter gearbeitet; im April soll sie vorgestellt werden. Da wollen jetzt alle drauf. Die Vorschläge sind mannigfaltig. Allerdings vermögen etliche davon den Verdacht nicht gänzlich aus der Welt zu schaffen, dass dahinter ein gewisses Eigeninteresse lauert, was menschlich verständlich und darum nicht direkt unmoralisch ist. So empfehlen sich für die Liste die Genussregion Oberfranken, die mündliche Erzähltradition Graweredersch aus Thüringen, die sächsischen Bergparaden und die mikrobiologische Therapie Heilen mit Bakterien. (Was meiner Ansicht nach fehlt, ist die schwäbische Kehrwoche.) Und jetzt sind noch die Schausteller dazugekommen. Die wollen, dass Jahrmärkte und Kirmessen als immaterielles Kulturgut anerkannt werden. Und warum auch nicht? Auf der Schweizer Liste zum Beispiel steht schließlich auch die Basler Herbstmesse (und natürlich: die Fasnacht). Es gebe in den Kommunen, klagt der Schaustellerbund, nur noch wenig Interesse an den alten Volksfesten, und auch wenn sie jährlich von 148 Millionen Menschen besucht würden - voran das Oktoberfest -, so seien doch viele von ihnen in Gefahr. Die Schausteller nennen beispielhaft den Bruchsaler Frühjahrsmarkt und die Kirmes von Castrop-Rauxel. Nun, wer in Bruchsal oder Castrop-Rauxel jemals in die Schiffschaukel gestiegen ist, seiner Liebsten einen Plüschbären geschossen oder im Festzelt ein Prosit der Gemütlichkeit angestimmt hat, der wird diese Erlebnisse als kulturelle Bereicherung im Langzeitgedächtnis speichern bis ans Ende seiner Tage. Und wenn wir uns im Kettenkarussell darüber hinaus als Teil kultureller Vielfalt empfinden dürfen, so steigert dies natürlich die eigene Bedeutung gewaltig. Allerdings ist es von der kulturellen Viel- zur kulturellen Einfalt nur ein Schrittchen. Eine Einfaltsliste hat die Unesco aber bisher noch nicht vorgelegt.